Newsletter 1 / 2021

Heute berichten wir Ihnen aus dem Labor von Prof. Edgar Meinl am Institut für Klinische Neuroimmunologie der Ludwig-Maximilians-Universität Großhadern bzw. Campus Martinsried (BMC). Prof. Meinl und sein Team beschäftigen sich mit der Frage, welche Strukturen des Nervengewebes durch die krankheitsspezifischen Entzündungsvorgänge bei der MS angegriffen werden und welche immunologischen Prozesse (z.B. Zellen, Antiköper) dafür verantwortlich sind. Dabei geht es letztlich auch um die Frage, welche Medikamente für eine auf den einzelnen Patienten bzw. die einzelne Patientin „maßgeschneiderte“ Therapie herangezogen werden können.

Die Multiple Sklerose ist bekanntlich eine Krankheit, die letztlich zu einer Schädigung der Nervenzellfortsätze, der Axone führt. Die Axone verbinden die Nervenzellen untereinander und auch mit Zielorganen, wie z.B. mit der Muskulatur. Wenn durch die Multiple Sklerose die Axone geschädigt sind, kommt es Störungen der Impulsleitung und somit zu Lähmungen, wenn die Nervenimpulse die Muskulatur nicht erreichen.

Die Axone sind von einer für ihre Funktion essentiellen Isolierschicht, der sogenannten Markscheide (Myelin) umwickelt, die wiederum von Oligodendrozyten gebildet wird. Typischerweise kommt es bei der Multiplen Sklerose erst zu einer Entmarkung, d.h. zu einem Angriff von Immunzellen auf diese Isolierschicht. Später folgt dann die Zerstörung auch der Axone. Solange nur die Isolierschicht geschädigt ist, besteht die Möglichkeit einer Erholung (Rückbildung des Prozesses). Das erklärt, warum die MS in der Regel schubförmig verläuft, mit Phasen der akuten Schädigung, aber auch mit Phasen der Rückbildung von Symptomen. Erst mit der Zerstörung der Axone kommt es schließlich zu bleibenden, nicht mehr reparablen neurologischen Ausfallserscheinungen.

Bei der MS handelt es sich um einen autoimmunologischen Prozess, also eine Fehlsteuerung des spezifischen Abwehrsystems des Menschen. Im Gegensatz zu dem angeborenen Immunsystem, zu dem u.a. die „Fresszellen“ (Makrophagen) gehören und das unspezifisch auf Krankheitserreger reagiert, gehören die sogenannten Lymphozyten zum spezifischen Teil des Immunsystems. Sowohl die Fresszellen als auch die Lymphozyten gehören zu den weißen Blutkörperchen. Ein kleiner Teil der Lymphozyten kann gewissermaßen „versehentlich“ seine Abwehrreaktionen gegen Bestandteile des eigenen Körpers richten.

Zu den Lymphozyten gehören auf der einen Seite die T-Zellen, die entweder selbst den eigenen Körper angreifen, oder als „Helfer“ (CD4-Helfer T-Lymphozyten) andere Immunzellen unterstützen. Diese autoimmunen T-Zellen werden von den meisten der z.Zt. verfügbaren MS Medikamente auf unterschiedliche Weise „gedämpft“.

Ein weiterer Mitspieler sind die im Knochenmark gebildeten B-Lymphozyten, die lösliche Antikörper, die Immunglobuline, produzieren. Die Erforschung der B-Zellen ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil es neuerdings Medikamente gibt, die diese B-Lymphozyten ausschalten (Depletion durch die anti-CD20 Therapie). Diese Therapie kann bei einem Teil der MS-Patienten das Fortschreiten der Krankheit wirksam verhindern.

Zunächst stellt sich aber die Frage, welche Strukturen des Nervengewebes durch das fehlgeleitete Immunsystem geschädigt werden. Mit zunehmender Einsicht in diese Entzündungs- und Zerstörungsprozesse gelingt es, einzelne Untergruppen der Krankheit, die ursprünglich klinisch als Multiple Sklerose diagnostiziert wurden, zu identifizieren und damit auch gezielter behandeln zu können. Zu diesen Sonderformen gehört u.a. die Neuromyelitis optica, eine ebenfalls entzündliche Entmarkungskrankheit, die typischerweise vorwiegend den Sehnerven und das Rückenmark betrifft, jedoch anders als eine MS behandelt werden muss.

Auf der Suche nach Molekülen des Nervensystems, die Ziel des autoimmunologischen Angriffs sind, fand sich ein nur im Gehirn und Rückenmark vorkommender Eiweißkörper, das sogenannte Myelin Oligodendrozyten Glycoprotein (MOG). Dieses befindet sich auf der Oberfläche des Myelins, der umgebenden Hüllschicht der Axone und ist  für Autoantikörper zugänglich, wenn diese ins Nervensystem eingedrungen sind. Hierfür müssen die Antikörper zunächst die Blut-Hirn-Schranke passieren. Die Bindung der Auto-Antikörper an MOG führt letztlich zu einer Zerstörung der Myelinscheide. Die Beschwerden von Patienten mit MOG-Antikörpern sind ähnlich wie bei Patienten mit Multipler Sklerose, die keine MOG-Antikörper haben. Zunehmend wird diskutiert, Patienten mit MOG-Antikörpern zu einer eigenen Erkrankung (MOG-Antikörper assoziierte Erkrankung) zusammenzufassen, die von dem großen Krankheitsbild Multiple Sklerose abgetrennt werden kann.

Krankmachende Mechanismen von Autoantikörpern gegen MOG im Blut von Patienten

Eine wesentliche Frage ist natürlich, ob die MOG-Antikörper, die sich im Blut der Patienten finden, krankmachen oder ob sie „nur“ ein Biomarker sind. Deshalb wurden MOG-Antikörper aus dem Blut der Patienten gereinigt und dann in Ratten injiziert. Dabei fand die Gruppe von Prof. Meinl, dass diese MOG-Antikörper der Patienten mittels zwei Mechanismen krankmachen:

Wenn die MOG-Antikörper gemeinsam mit T Zellen gegeben werden, die die Blut-Hirn-Schranke zerstören (in diesem Fall MBP-spezifische T Zellen), dann induzieren diese Antikörper eine eine Entmarkung führt.. Wenn die MOG-Antikörper jedoch zusammen mit MOG-spezifischen T Zellen gegeben werden, die also dieselbe Zielstruktur erkennen, dann verstärken sie die T-Zell vermittelte Entzündung.