Newsletter Frühjahr 2017

„Unterscheidung der verschiedenen Verläufe innerhalb schubförmig-remittierenden Verlaufsform.“

Ein weiteres Forschungsthema ist die Unterscheidung der verschiedenen Verläufe innerhalb schubförmig-remittierenden Verlaufsform. Denn auch hier können unterschiedlich schwere Verläufe, unterschiedliche Symptome, und Verwandtschaften zu ähnlichen, aber unterscheidbaren Krankheiten bestehen.

Daraus können sich unterschiedliche therapeutische Ansätze entwickeln, auf dem Weg zu einer „individualisierten Medizin“. Denn immer noch ist so, dass die meisten Medikamente für diese Verlaufsform nach dem Motto „Versuch und Irrtum“ eingesetzt werden müssen. Das heißt, dass das Risiko einer unwirksamen Therapie zu – je nach Medikament – 30% bis 70% eingegangen werden muss, bis der klinische Verlauf zeigt, ob die Therapie wirkt oder eben nicht.

Auch wenn dieser Forschungsansatz für den Laien vielleicht etwas schwer zu verstehen ist, möchten wir doch versuchen, Ihnen zu erklären, was in der Arbeitsgruppe von Prof. Meinl erforscht wird:

Die Idee bei den Untersuchungen ist es, durch Laboruntersuchungen sogenannte „Biomarker“ dieser unterschiedlichen Typen der schubförmig verlaufenden MS zu differenzieren, um dann durch eine Blutuntersuchung bei Patienten mit einer MS eine bestimmte Verlaufsform zuzuordnen und dann gezielt zu therapieren.
Ein Beispiel für solche Biomarker sind Antikörper gegen das Myelin Oligodendrozyten Glykoprotein (MOG).

 

  • Das Myelin Oligodendrozyten Glykoprotein (MOG) ist an der Außenseite von Myelin – also der Isolierschicht der Nervenfasern, die bei der MS angegriffen wird – exponiert und daher für Antikörper zugängig. Im Labor von Prof. Meinl wurde eine Methode entwickelt, die es erlaubt, MOG-Antikörper-positive Patienten zu identifizieren. Prof. Meinl und Kollegen beobachteten kürzlich einen Patienten, der histo-pathologisch eine Multiple Sklerose Typ II (Antikörper-vermittelt) hatte, und in dessen Blut Antikörper gegen MOG nachweisbar waren. (Spadaro et al. ACTN 2015). Dieser Patient zeigte Symptome, die teilweise mit den Symptomen der MS, teilweise mit den Symptomen der Neuromyelitis optica überlappten (die Neuromyelitis optica ist eine Erkrankung, die der Multiplen Sklerose sehr ähnlich ist, jedoch anders behandelt wird).
    In Kooperation mit Frau PD Dr. med. Tania Kümpfel, Oberärztin am Institut für Klinische Neuroimmunologie, untersuchten die Wissenschaftler eine größere Kohorte (>100 MS Patienten) aus der Ambulanz des Instituts. Die untersuchten Patienten hatten eine Multiple Sklerose mit schweren Läsionen im optischen Nerv und im Rückenmark, und zeigten somit Ähnlichkeit zur Neuromyelitis optica. In dieser Kohorte konnten bei 5 Patienten Autoantikörper gegen MOG nachgewiesen werden (Spadaro et al. Neurology: Neuroimmunology, Neuroinflammation 2016). Zusammenfassend zeigen diese Untersuchungen, dass bei einer Untergruppe von Patienten mit Multipler Sklerose Antikörper gegen MOG vorkommen. Im Weiteren wird es darum gehen herauszufinden, welche funktionellen Eigenschaften diese Autoantikörper haben und wie MS-Patienten mit Antikörpern gegen MOG am besten zu behandeln sind. Die Erstautorin dieser beiden Arbeiten, Melania Spadaro, ist biologische Doktorandin; ihr Doktorandengehalt wird von der Werner Reichenberger Stiftung und dem Verein für Therapieforschung getragen.

Publikationen 2015/2016 zu diesem Thema:
Spadaro M*, Gerdes LA*, Mayer MC, Ertl-Wagner B, Laurent S, Krumbholz M, Breithaupt C, Högen T, Straube A, Giese A, Hohlfeld R, Lassmann H*, Meinl E*, Kümpfel T*.  Histopathology and clinical course of MOG-antibody-associated encephalomyelitis. Ann Clin Trans Neurol. 2015. 2:295-301

Spadaro M*, Gerdes LA*, Krumbholz M, Ertl-Wagner B, Thaler FS, Schuh E, Metz I, Blaschek A, Dick A, Brück W, Hohlfeld R, Meinl E*, Kümpfel T*. Autoantibodies to MOG in a distinct subgroup of adult multiple sclerosis. Neurol Neuroimmunol Neuroinflamm. 2016. 3:e257
* Equal contribution

 

 

 

Herbst 2016

„Differenzierung des chronisch-progredienten Verlaufes der Multiplen Sklerose“

Hinter der Diagnose „Multiple Sklerose“ verbergen sich ganz verschiedene Verlaufsformen, wie es auch durch das Schlagwort „ Die Krankheit mit den 1.000 Gesichtern“ zum Ausdruck kommt. Die bekannteste und zu Beginn der Erkrankung auch häufigste Verlaufsform ist die „schubförmig remittierend“ verlaufende MS. Die neurologischen Defizite treten hierbei relativ plötzlich auf und bilden sich zumeist weitgehend zurück. Dieser Verlaufsform liegen vorwiegend entzündliche Prozesse zu Grunde, die medikamentös inzwischen mit einem gewissen Erfolg günstig beeinflusst werden können.

Nach 10-15 Jahren Krankheitsdauer geht allerdings bei ca. der Hälfte der Patienten der anfangs schubförmig-remittierende Verlauf der Krankheit in die so genannte sekundär chronisch progrediente Phase über. Hierbei schreitet die Behinderung nicht schubförmig, sondern langsam schleichend voran. (Bei einem kleinen Prozentsatz der MS Betroffenen verläuft die Krankheit von vornherein chronisch progredient und ohne Schübe; man spricht von „primär progredienter MS“.)

Dem progredienten Verlauf liegen weniger entzündliche, sondern eher so genannte degenerative Prozesse zu Grunde, das heißt, es kommt zu einem schleichenden Untergang von Nervenzellen. Für diese Verlaufsformen sind die therapeutischen Konzepte besonders unbefriedigend und wenig erfolgreich. Das liegt vor allem daran, dass die wesentlichen krankhaften Prozesse, die diese Progredienz antreiben, bisher nur sehr unvollständig verstanden sind.

 

  • Die Arbeitsgruppe um Prof. Kerschensteiner hat nun damit begonnen, sich mit dieser progredienten Phase der Multiplen Sklerose zu beschäftigen. Bekannt ist, dass in dieser Krankheitsphase der MS nicht mehr nur die weiße Substanz, sondern zunehmend auch die graue Substanz (z.B. die Hirnrinde) geschädigt wird. Um die krankhaften Prozesse in der Hirnrinde besser zu verstehen, hat das Team von Prof. Kerschensteiner in Zusammenarbeit mit Prof. Merkler von der Universität Genf mit Hilfe einer speziellen Färbetechnik Nervenzellen mit allen ihren Fortsätzen in der Hirnrinde dargestellt. Diese Untersuchungen zeigten überraschend, dass es zu einem ausgeprägten Verlust der Synapsen, also der Kontaktpunkte zwischen einzelnen Nervenzellen, kommt. Dieser Synapsenverlust zeigt sich in der gesamten Hirnrinde, also auch bei Nervenzellen, die sich in der ansonsten unauffälligen grauen Substanz befinden. Diese völlig neuen Erkenntnisse weisen darauf hin, dass der Synapsenverlust ein sehr früher und damit ggfls. auch für die Krankheitsentstehung besonders wichtiger Aspekt der progredienten MS ist. In nachfolgenden Studien hat Prof. Kerschensteiner ein experimentelles Modell der cortikalen MS, also der Prozesse in der Hirnrinde, entwickelt, das es erlaubt, die Mechanismen des Synapsenverlust besser zu verstehen und neue Therapiestrategien zu entwickeln, die dies verhindern können.

Publikation:
Jürgens T, Jafari M, Kreutzfeldt M, Bahn E, Brück W, Kerschensteiner M* & Merkler D*.
Reconstruction of single cortical projection neurons reveals primary spine loss in multiple sclerosis.
Brain 139, 39-46 (2016) (*) co-senior author